Mitteldeutsche Zeitung vom 23.04.2005

Pressebeitrag MZ
 

Bild r.: Weinbaufreund und -forscher Bernhard Gremler, in Höhnstedt abgefüllter "Blauer Bernburger"®: Schmeckt nach unserer Region.

MZ-Foto: Engelbert Pülicher
Bild m.: Grüne Apotheke in Bernburg, in der auch Wein angeboten wurde.


 

Grüner Apotheker als blauer Weinhändler

Weinbaufreunde begaben sich auf Spurensuche

Von  BERNHARD GREMLER

Bernburg/MZ. Jene dankbare Weinrebe, die der Volksmund seit über 100 Jahren den "Blauen Bernburger"® nennt, erlebt in diesen Jahren eine wahre Renaissance an Interesse und Anbau. Vitale Wuchskraft und naturgegebene Resistenz gegenüber Pilzbefall (Mehltau u.a.) gewährleisten giftstofffreien Ökoanbau und sichere Erträge.

Dass sich der Erwerbsweinbau diese Vorteile nicht zunutze macht, erstaunt schon, wird aber damit erklärt, dass diese Weinart keine Aufnahme in die deutsche Sortenliste fand. Woher kommt diese Rebsorte eigentlich, die schon im Jahre 1777 vom Bernburger Apotheker Ludwig Bernhard Schulze den Weinbergbesitzern zum Anbau empfohlen wurde? Zwei passionierte Weinbaufreunde, der Hallenser Hubertus Sommerfeld und der aus Bernburg stammende, seit Jahrzehnten aber in Westfalen wohnende Jürgen Müller, haben sich unabhängig voneinander auf Spurensuche begeben.

Zudem konnte der Autor den Aufzeichnungen der "Grünen Apotheke" in Bernburg, der einstigen Wirkungsstätte von L. B. Schulze, einiges entnehmen. Wir fassen zusammen, was bisher ermittelt wurde.

Lizenz zum Weinhandel

Die "Grüne Apotheke" in Bernburgs Talstadt erhielt im Jahre 1696 von der fürstlichen Administration die Erlaubnis zum Weinhandel, feierlich verbrieft in einer "Declaratio Privilegii". Keine andere Apotheke in Bernburg konnte eine derartige Sonderstellung aufweisen, was für die "Grüne" natürlich ein unglaublich wertvolles zweites Standbein bedeutete. Allerdings galt dieses Weinprivileg nur so lange, bis die Ratsschenke wieder in den Weinhandel einsteigen konnte. Warum das um 1696 nicht möglich war, geht aus den Aufzeichnungen im Zusammenhang mit dem Weinprivileg nicht hervor.

Schon im Jahre 1700 ist die Ratsschenke in der Talstadt wieder in der Lage, Weinhandel und Weinausschank zu betreiben. Die "Grüne Apotheke" verliert ihr Weinprivileg und damit eine bedeutsame Einnahmequelle, bis auf eine Ausnahme. Die besagt, dass Weine für die Krankenbehandlung, für die Arzneibereitung und "Süßweine" weiterhin von der "Grünen" vertrieben dürfen.

Zu den Weinen, die ab 1700 nicht mehr im Angebot der "Grünen Apotheke" stehen durften, zählten jene Importweine, die der Bernburger am meisten schätzte. Das waren Rheinweine sowie Frantzen- und Franckenweine, womit wahrscheinlich französische und Weine aus dem Umfeld des deutschen Frankenlandes gemeint waren.

Auf Weinsuche

Wollte der Prinzipal der "Grünen" das Weingeschäft einigermaßen im Fluss halten, musste er nach neuen Rebsorten Ausschau halten, die außerhalb des Verbotes lagen. Das scheint lange Zeit ohne nennenswerten Erfolg geblieben zu sein. Im Jahre 1759 übernimmt Ludwig Bernhard Schulze (1730 - 1785) die "Grüne Apotheke". Eine Neubelebung des Weinhandels scheint damit verbunden gewesen zu sein. Schulze ist in seinem Nebenberuf vermutlich nicht nur Weinhändler, er ist auch Weinreisender, Weinkenner und Weinbauer.

Auch an der unteren Saale gehörte es seit Ausgang des Mittelalters zum Statussymbol des gehobenen Bürgertums, einen Weinberg, zumindest einen Weingarten, zu besitzen. Seinen Gästen und Handelspartnern einen Repräsentationstrunk aus eigenem Anbau vorsetzen zu können, gehörte zur unverzichtbaren Tradition dieses Standes. Um 1770 muss Ludwig Bernhard Schulze auf die neue Rebsorte, auf den "Blauen Bernburger"® Wein, durch Handelsbeziehungen gestoßen sein, möglicherweise über Frankreich. 1777 ist er durch Anbauerfolge gestärkt soweit, die neue Rebsorte den Weinbergbesitzern im Bernburger Raum zum Anbau empfehlen zu können. Einen Sortennamen und Herkunftsangaben hinterlässt er nicht, möglicherweise absichtlich nicht, um Auslegungsdiskussionen zum hauseigenen Weinprivileg zu vermeiden. Erst seit kaum zwei Jahren wissen wir, dass der "Blaue Bernburger"® ein Abkömmling der Amerikarebe "Vitis Labrusca" (das heißt in etwa "Der wilde Weinstock", Anm. Verf.) ist, vermutlich vor 1770 gekreuzt mit einer dunklen europäischen Edelrebe.

Zerbster Parallele

Im Jahre 1815, nach anderen Angaben 1816, verstarb in Zerbst der angesehene Gartenbauer Johann Carl Corthum. Er hinterließ mit dem "Handbuch für Gartenfreunde und Blumenliebhaber . . ." ein unvergessliches Standardwerk des Gartenbaus, das auch eine Beschreibung von über 230 Weinsorten enthält. Corthum erwähnt darin auch die Amerikarebe "Vitis Labrusca" und beruft sich auf Erfahrungen aus einem 50-jährigem Anbau. Von 1816 gut 50 Jahre zurück gerechnet, mehr oder weniger, das zielt hin auf eine Zeit um 1770. Damit liegt der Zerbster Anbau durch Corthum im gleichen Zeitabschnitt wie der Bernburger Anbau durch Schulze. Bekannt ist weiterhin, dass der schwedische Naturforscher Carl von Linné 1763 als erster diese Rebsorte beschreibt. Sie muss also durch Überseehandel in jenen Jahren aus Nordamerika nach Westeuropa gelangt sein, in erster Line vermutlich in das Weinland Frankreich.

Wie könnte es weiter gegangen sein? Folgendes ist denkbar. Der Apotheker und Weinhändler Ludwig Bernhard Schulze stößt auf die Amerikarebe. Er bringt sie mit an die untere Saale. Der angesehene Apotheker in Anhalt-Bernburg kennt vermutlich den angesehenen Gartenbauer in Anhalt-Zerbst. Beide verbindet das Interesse am Weinbau und an der neuen Rebsorte, die beide mit Erfolg vermehren und in ihrer Heimat in den Umlauf bringen.

Weinberge erobern

An der unteren Saale im Landschaftsgebiet von Bernburg ist der Anbauerfolg kulturprägend für den weiteren Weinanbau. Die Fürsten zu Anhalt, sie mögen damals 30 bis 35 Hektar Land unter Rebkultur gehalten haben, ließen weite Flächen mit der Amerikarebe bepflanze. Auch ein Name wurde nun gefunden und die Weinsorte hieß fortan der "Gute Blaue". Man wählte damit eine Symbolbezeichnung, die immerhin zwei lobenswerte Eigenschaften beschreibt: "Gut und Blau".

Wie es zur Entdeckung dieser Rebsorte in Amerika selbst kam, wie dieser Wein unter dem Namen "Isabella" quasi in einer zweiten Handelswelle nach 1820 verstärkt nach Europa kam, ist eine ebenso spannende Geschichte. Sie sei den Weinbaufreunden und Interessenten ein andermal erzählt.



Ein trockener Roter mit Heimatbukett

Erster "Blauer Bernburger"® in Flaschen abgefüllt

Von unserem Redakteur
R A I M U N D   L E O N H A R D T

Bernburg/MZ. Nein, er ist kein lieblicher Tropfen: Der "Blaue Bernburger"®, von den Weinbaufreunden um Bernhard Gremler gelesen und in Höhnstedt bei einem dortigen Winzer abgefüllt, ist ein herber Roter.

Gremler selbst, der den Wein an einer alten Mauer hinter seiner Wohnung ranken lässt, ist selig: Für ihn ist der selbstgewonnene und geschichtsträchtige Wein "ein rubinroter Tropfen, der dem Burgunder geschmacklich nahe kommt". "Trocken ausgebaut, wie unsere Gegend", sieht es Gremler heimatgeschichtlich verwurzelt.



"Trocken ausgebaut, wie unsere Gegend."

B E R N H A R D   G R E M L E R
W E I N B A U F R E U N D


Aus den 370 Kilo "Blauem Bernburger"®, den die Hobby-Winzer im Herbst von den Ranken an Mauern, Hauswänden oder Spalieren geschnitten haben, sind 320 Liter Wein geworden, abgefüllt in 640 Halbliterflaschen.

Allein die Flasche ist sehenswert. Rank und schlank mit Bernburger Siegel und 12,5 Prozent Alkohol wird er als "unbezahlbar und unverkäuflich" etikettiert. Edition: Stammtisch "Blauer Bernburger"® heißt es im Untertitel auf dem gelungen gestalteten Flaschenzettel.

Wer Glück hat und einen der Besitzer von "Blauem Bernburger"® Wein näher kennt, der bekommt vielleicht ein Fläschchen geschenkt. Für die Weinbaufreunde ist das vergleichbar mit einer Auszeichnung und hohen Wertschätzung zugleich.

So wie einst der Grüne Apotheker mit dem "Blauen Bernburger"® handelte, bzw. ihn als Medizin vertrieb (s. Beitrag oben), möchten auch die Weinbaufreunde - bei steigenden Mengen - mit ihrem "Blauen" handeln. Die entsprechenden Anträge sind bereits gestellt. Die Genehmigung durch das Amt für Landwirtschaft in Weißenfels steht aber noch aus.